Ein Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn sagte zu mir heute: "Ich weiss nicht, ob wir Linken uns über die Verluste der FDP allzusehr freuen sollten. Nicht, wenn wir uns ansehen, wer die Liberalen beerbt...".
Wer beerbt die erodierende traditionelle Mitte? Wer sind diese orientierungs- und kompasslosen, ohne jegliches weltanschauliche oder politphilosophische Fundament in postmoderner Beliebigkeit vor sich hinspontisierenden "Neuen Mitteparteien", die das in Städten und Agglos lebende Dummvolk für vertrauenswürdig genug empfinden, die Geschicke dieses Landes in diesen schwierigen kommenden Jahren zu führen? Wer sind diese aus dem sprichwörtlichen Nichts kommenden Gutmenschen, die in jedes 20-Minuten-Kamerächen und jedes Radio24-Mikrofönchen etwas von "lösungsorientierter Politik der Mitte, "Solarpanels" und "Nachhaltiger Energiepolitik" faseln?
Und wer wählt solche Gummimenschen mit Gummimeinungen mit Duzendgesichtern und hübschen Deux-Pièces, die aussehen, wie Jessica und Kevin Normalverbraucher auch gern aussehen würden: Wie das Personal in belanglosen US-Vorabendserien. In diesem Schönheitswettbewerb haben die Geschmeidigen, die mit dem netten Äusseren, die Glatten, Lieben, Braven natürlich gute Chancen. Es erinnert ein wenig an diesen Film The Stepford Wives.
Jedenfalls bessere, als Politiker, die zwei, drei Schritte weiterdenken und Probleme ansprechen, solche mit Ecken und Kanten, die erkennen, dass es kein Rezept sein kann, einander nur bloss nicht weh zu tun in der Politik.
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Stepford Wifes? Ein neuer Politikertyp, jung, adrett, diffus. |
Gewonnen haben heute die S-Bahn-Bürger, die mit den riesigen Kopfhörern am Ohr, die gerade entweder auf Facebook oder am Youtube-Musikvideos am Betrachten sind, die ihre Hauptinformation über die Welt, in der sie leben, aus dem Blick am Abend beziehen. Und aus Facebook. Wo stümperhafte Journalisten eine gigantische Unterhaltungs- und Informationsberieselungsmaschinerie in Gang halten und wo politische Themen in dekadentem Zynismus entweder auf Realschülerniveau oder auf Textmessage-Format eingekocht werden. Und selbst seriöse Medien so etwas wie eine Hofschranzen-Berichterstattung liefern und völlig vergessen, als vierte Gewalt im Staat zu funktionieren und Regierung, Behörden und das Parlament zu kontrollieren und kritisch zu hinterfragen. Kritisch hinterfragt wird nur die SVP. Das muss reichen.
Zugunsten einer Konsumentenmentalität in der Politik. Perfekte Projektion des eigenen Unvermögens und Desinteresses auf die gewählten Politiker. Und das Schlimme dabei: Nach vier Jahren Stillhalten im Parlament (Tiana Moser) werden diese Fratzen wiedergewählt, weil sie immer noch "jung und unverbraucht" sind.
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Jung und unverbraucht: Tiana Moser hat vier Jahre lang erfolgreich stillgehalten. |
Und gewonnen haben die Meinungsbeeinflusser, die glauben, man könne alles auf eine lächerliche Smartvote-Spider-Matrix pressen, was an über Politik zu wissen braucht. Als gälte es - wie bei Parship, wo diese Menschen Parner suchen - eine möglichst grosse Übereinstimmung in allen Punkten zu finden. Was für eine Beziehung schnarch ist, kann für die Politik ja wohl kaum funktionieren, oder? Logisch werden dann eben jene Politiker ein Match, die möglichst die Bandbreite abdecken, aber ja nicht wirklich ausschlagen, nach irgend einer Richtung. So bleibt alles im Unverbindlichen, Vagen, Oberflächlichen. |
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Ungerichteter Aktionismus für Politikkonsumenten - Otto Ineichen |
Nehmen wir zum Beisiel der Aargau, dieses Soziallabor der urban-ländlichen Aggloschweiz mit (bösen) Autobahnen und (abzustellenden) AKWs. Dass dort eine Pascale Bruderer ohne jeglichen Leistungsausweis zur Ständerätin gewählt wird, ist ein deutliches Symptom für eine ernstzunehmende Krise im politischen Denken und Handeln der Citoyens: Die fleischgewordene Gutmenschin mit Augenaufschlag, aparten Kleidchen, einem politischen Profil, wo für jeden e chli öppis dabei ist, wie eine Pralinenschachtel. Self-Service. Kindertagesplätze sind auch dabei. Das ist doch sozial, oder?
Verhältnis zu Europa, Energiepolitik, Sozialwerke, Einwanderung, Wirtschaftsentwicklung, Verkehr, Bildung - die neuen Bürger wollen von all diesen schwierigen Fragestellungen verschont bleiben und in ihrer Blase leben, wo man es einer "Neuen Mitte" mit diffusen Haltungen, Überzeugungen und Prinzipien überträgt, das Land zu führen. Damit man mehr Zeit hat, (subventionierte) Solarpanels aufs Dach zu schrauben, Facebookfreunde zu sammeln, Youtube-Filmli anzusehen, geile Klamotten einzukaufen und in den Ausgang zu gehen. Oder an "Events". Das Wichtigste ist, dass man cool aussieht, wenn man an der Bar rumsteht. 20-Minuten-cool.
Offenbar spüren die Menschen nur mehr sich selbst unter ihren Kopfhörern. Die Rechte wie die Linke hat es verpasst, glaubhaft zu machen, dass schwierige, grundsätzliche Entscheidungen anstehen.
Es könnte ungemütlich werden, wenn diese Leute aus ihrer Bubble erwachen und in der Realität ankommen.